TOP 10
Wie Du heißt …
Berliner Doom
Berliner Doom (Achtung: Wortspiel) strahlt mit ihrem neuen Album Notre Doom (Achtung: noch ein Wortspiel) (2025) das trashige, rauchige Flair einer verrauchten Garagenkneipe aus, mit Bass, Synthie und diesem unwiderstehlichen lispelnden französischen Akzent. „Wie du heißt“ ist eine melancholisch-sehnsüchtige Wave-Ballade über flüchtige Liebschaften im Berliner Sommer, über urbanen Begegnungen mit ungewissem Ausgang und das leichte Berlin-Feeling zwischen U-Bahn, Dealerpark und Kneipe.
TOP 9
In the event of
Katatonia
Ist das schon Metal oder immer noch Hard Rock? Whatever: So eindringlich singen wenige über das Ende der Welt. Katatonia, die schwedischen Rocker der melancholischen Klanglandschaften, liefern mit ihrem 2025er Album Nightmares As Extensions Of The Waking State (das Cover des Jahres!) erneut eine düstere und tiefgründige Reise ins Reich der Albträume, die sich nun in unsere Wachzustände schleichen. Der abschließende Track „In the Event Of“ schließt das Album nicht mit einem pompösen Crescendo, sondern mit einem leisen, fast schwebenden Ausklang — wie das Verlöschen einer Kerze, wenn man sich noch nicht sicher ist, ob irgendwann wieder Licht kommt. Ein treffendes Sinnbild für die zerrissene, taumelnde Gegenwart:
At the end of days
Awaiting the blast
And thе wild blue yonder
Synchronized
Suicide
Eight bells
For what I’ve seen
Und wie kann man das Elend der Kriege besser zusammenfassen als mit den beiden Schlusszeilen des Songs:
Mothers waiting in rows
For the shadows of their children
TOP 8
Schadenfreude
Baxter Dury
Baxter Dury — ja, er ist der Sohn des legendären Ian Dury — die Älteren werden sich an Sex & Drugs & Rock’n Roll erinnern (nicht nur daran, sondern auch an den Song). Der Sohnemann liefert seit über zwei Jahrzehnten sein ganz eigenes „easy-verpeiltes“ Soundbild aus Wave, Indie-Pop und Post-Disco. Sein neues Album Allbarone (2025) fokussiert elektronischen Pop und tanzbare Synth-Grooves.
„Schadenfreude“ ist neben Weltschmerz, Zeitgeist, Waldsterben und Kindergarten eines der wenigen deutschen Wörter, die es in den englischen Wortschatz geschafft. Im Video zelebriert Dury das stille, bittere Vergnügen am Scheitern anderer: billige Airlines, gescheiterte Träume, Hotels, dazu ein Cocktail aus Eifersucht und Verachtung. Der Ton kühl, und von feinem Zynismus durchzogen. Ein Soundtrack für moderne Verlierer mit existenzieller Zerbrechlichkeit und morbidem Vergnügen am Scheitern.
TOP 7
She Knows me
(Poliça)
Poliça schafft es in der Jahresbilanz immer unter die TOP 10 zu kommen, wenn jeweils ein neues Album auf den Markt gekommen ist. 2011 in Minneapolis gegründet, ist die Band bekannt für ihre Mischung aus Elektro-, Indie- und Art-Pop — mit einer Besonderheit: Sie setzen seit jeher auf doppelte Schlagzeuge und Bass, kombiniert mit der markanten, oft mit Effekten verfremdeten Stimme Channy Leaneagh.
She Knows Me vom neuen Album Dreams go ist puristischer. Der Song und markiert eine Neuerung: Erstmals spielt Channy eine akustische Gitarre mit Nylonsaiten — eine kleine, aber bedeutsame klangliche Öffnung des bisher eher synthetischen Poliça-Sounds. Dafür verkleidet sich die Sängerin in eine Straßenmusikerin und lässt ihren Bandkollegen spenden …
Der Kontrast aus zerbrechlicher Akustik und subtiler Elektronik erzeugt eine ergreifende Intimität — ein Sound zwischen Melancholie und Hoffnung. Und wenn sie dann noch unsere Situation der 60+ Generation beschreibt, trifft sie uns tief im Herzen:
We only started
The life
And we barely any time left alive …
TOP 6.1
Tuanaki Atoll
(Beirut)
https://www.youtube.com/watch?v=SNCsW9kRQEw&list=RDSNCsW9kRQEw
Tuanaki Atoll stammt vom im April 2025 veröffentlichen Konzeptalbum A Study of Losses der Berliner Band Beirut, das teils in Berlin produziert wurde. Beirut ist bekannt für seine Mixtur aus Indie-Folk, Balkan- und osteuropäischer Volksmusik, Weltmusik und barockem Pop, wodurch ein Klangraum entsteht, der gleichermaßen nostalgisch, wanderlustig und kulturübergreifend wirkt. Der Song bezieht sich auf Tuanaki, eine im 19. Jahrhundert plötzlich verschwundene Inselgruppe im Südpazifik — beschrieben als ein Eden‑ähnlicher Ort, dessen Bewohner so friedlich und großzügig gewesen seien, dass sie in ihrer Sprache kein Wort für Krieg oder Mord hatten. Der Song beruht auf einem auf ein „sweet and breezy“ Ukulele‑Motiv, das leicht, luftig — fast unbeschwert — klingt. Doch der Kontrast liegt im Detail: Unter der Ukulele lauert eine melancholische Grundstimmung, als wolle der Song uns sagen: „Paradiese existieren vielleicht — aber sie weinen, wenn sie untergehen.“
So ist der Song als Teil des Konzeptalbums Study of Losses ein größeren Gedankenspiels über Verlust, Vergänglichkeit und verlorene Welten. Und Beirut liefert seine Kernkompetenz: Sie singt von Sehnsucht und Vergänglichkeit, von der Schönheit der untergehenden Welt.
TOP 6.2
Un enfant pour toujours
Zaz
https://youtu.be/VggsLyUGwvc
Zaz, wuchs klassisch mit Violinen-, Klavier- und Gesangsunterricht auf — eine Ausbildung, bei der sie Solfège, Geige, Klavier, Gitarre und Chorstudien erlernte und sich schon früh musikalisch breit aufstellte. Un enfant pour toujours, erschienen 2025 auf ihrem sechsten Album Sains et Saufs, greift ein existenziell belastetes Thema auf: Ein innerer Monolog einer Person, die einen Verlust mit sich trägt –den eines Kindes. Es bleibt offen, ob es um ein verstorbenes Kind handelt, um ein verlorenes Geschwisterkind oder das eigene innere Kind. Das zentrale Motiv ist der poetische Balanceakt: Einerseits das Gewicht von Schuld, Verlust und Innenzwängen („Qui ai-je remplacé?“, „Comment me libérer?“), andererseits der Entschluss zur Selbst-Befreiung und zum Loslassen („Je te laisse au carrefour du souvenir, de l’oubli“). In dieser Doppelbödigkeit zeigt Zaz, dass sie nicht nur Stimmenakrobatik beherrscht — sondern ein feines Gespür dafür hat, wie man mit Musik das Unsagbare umkreist: Die Stimme bleibt brüchig, direkt, verletzlich – eine Stimme, die nicht nach Glamour, sondern nach schonungsloser Wahrheit klingt.
TOP 5
Vessels of Love
Raz Ohara
https://www.youtube.com/watch?v=i5ISUccntQ4&list=RDi5ISUccntQ4
Raz Ohara ist ein dänischer Electronica-Musiker und Produzent, der bereits seit Mitte der 1990er Jahre in Berlin (Prenzlauer Berg) lebt und dort als DJ, Sänger und Klanggestalter aktiv ist. Seine Musik ist ein kaleidoskopischer Mix aus Dub, Soul, Jazz und elektronischen Elementen; Ohara verwendet dabei meist eigene Aufnahmen und instrumentale Loops, kombiniert mit experimentellem Sound-Design. Der Song „Vessel of Love“ stammt von seinem 2025 erschienenen Album Memories of Tomorrow. (What a title! Geht zurück auf ein Jazzsong von Keith Jarrett aus dem Jahr 1975.) Das Video nimmt uns mit in den Berliner Sommer, in der einzigen Stadt, in der man sein Leben lang Kind bleiben darf.
TOP 4
My Job ain’t done
Arrested Development
https://youtu.be/zL7WF7wYIaA
Arrested Development: Das Konzert des Jahres 2025! Im Club Volta in Köln.
Arrested Development ist 1988 in Atlanta entstanden als bewusster Gegenentwurf zum damaligen Gangsta-Rap.: Glaubwürdigkeit, Spiritualität und Engagement statt Glamour oder Ghetto-Klischees. Statt auf Härte und Klischees setzten sie auf Soul, Funk, Liebe und sozial-kritische Texte — ein bisschen wie HipHop mit Herz und Gewissen.
Mit My Job Ain’t Done melden sie sich 2025 zurück — als Teil ihres Albums Adult Contemporary Hip Hop. Der Song ein dringlicher Aufruf: Er reflektiert das Elend dieser Welt:
They’re sending checks to Ukraine
But they’re so inhumane
Cause the Russians keep bombing
And the globe keep warming
You walking out the store
They open fire without a warning
Der Job als Mission, der noch längst nicht erledigt ist. Das Gute daran: Es gibt auch in Zukunft Musik von AD.
TOP 3
I see a Darkness
Anna Calvi & Perfume Genius
https://www.youtube.com/watch?v=57z_tFA52Xo&list=RD57z_tFA52Xo
I See a Darkness ist eine Cover Version des Bonnie “Prince” Billy. Musikalisch und textlich bewegt sich der Song zwischen minimalistischer Folk-/Americana-Ästhetik und existenzieller Düsternis. Themen sind Depression und existentielle Angst, die Begleitung schlicht, und die Stimme wirkt im Original brüchig, verletzlich. Man muss allerdings feststellen, dass man den Song nicht besser singen als Johnny Cash im Jahr 2000. Das merkte auch Bonnie Prince Billy, der fortan die Hintergrundgitarre bei Johnny Cashs Version spielt.
https://www.youtube.com/watch?v=JWnUItw1ElU&list=RDJWnUItw1ElU
Nun ist allerdings eine Version mit einem beeindruckenden Video erschienen, die neue musikalische und filmische Aspekte einbringt und durchaus bestehen kann. I See a Darkness von Anna Calvi gemeinsam mit Perfume Genius, ist eine packende Nebelwolke aus dunklen Gedanken und existenzieller Sehnsucht. Die Stimmen der beiden verweben sich — Calvis rauchige, dramatische Gitarre trifft auf die zerbrechliche, zugleich ätherische Falsettstimme von Perfume Genius — und verwandeln das ursprünglich folkige, puristische Lied in eine cineastische, fast gotische Meditation über Nähe und Einsamkeit. Die Spannung zwischen Stimme und Gitarre, die subtilen Crescendi. Und die knapp unter der Oberfläche liegende Dunkelheit bricht durch gelegentlich durch – als Fuchs oder dunkler Typen. Die Frage, ob nicht Freundschaft, Nähe und Zugehörigkeit genug sind, um das Dunkel zu durchbrechen, bleibt offen.
TOP 2
Shine, Glow, Glisten
Emma Luise & Flume
https://www.youtube.com/watch?v=ipIUQVpiarE&list=RDipIUQVpiarE&start_radio=1
What a Trip! Like LSD. Emma Louise, die Australierin mit sanfter Stimme und Indie-Pop Herkunft, hat in der Vergangenheit — mit Alben wie vs Head vs Heart oder Supercry — bereits ein feines Gespür für melancholische Intimität gezeigt. Wenn sie nun mit Flume zusammenkommt, wandert sie aus diesem schüchternen Salon in die funkelnde, klaustrophobisch-elektronische Welt eines Sounddesign-Meisters. Shine, Glow, Glisten legt genau dort an: Flume webt ein Gewirr aus glitchigen, unruhigen Trap-Beats und psychedelisch verzerrten Texturen — eine Art elektronischer Dschungel mit Herzrasen. Emma Louise schwebt mit ihrer Stimme wie ein geisterhafter Gesang durch dieses Chaos; zart und doch entschlossen, so als wolle sie die rohe Energie sublimieren.
TOP 1
Tristesse
Zaho de Sagazan
https://youtu.be/LsYkbKovDZ0
What a Performance! Melancholie mit Mittelfinge! Zaho de Sagazan mischt französischen Chanson mit Elektro-Pop, garniert mit dunklem Synth-Sound und einer Stimme, die irgendwo zwischen rauchiger Bar und Neondisco liegt. Mit Tristesse gab sie Ihren deutschen Fernseh-Einstand im Mai 2025 – mit dem Rundfunk Tanzorchester Ehrenfeld im Neo Magazin Royale. Zaho de Sagazan Der Clash aus elegischem melancholischem Chanson und schneidender Elektronik macht „Tristesse“ zu mehr als einem traurigen Lied — es ist ein Statement gegen Verzweiflung, eine rebellische Feststellung: „Je deteste“ Auf neudeutsch „Fuck you“. Und das ist in modernen Zeiten nicht das schlechteste Motto.






