TOP 10
Music/Videoclips 2023 (First half)
Schon wieder das halbe 2023 rum, Zeit für die TOP 10 der ersten sechs Monate. Mit Metallica, Iggy Pop und Depeche Mode kommen im ersten Halbjahr echte Klassiker mit neuen Alben um die Ecke. Iggy und DP schaffen es in die TOP 10, Metallica nicht.
Zuvor eine kurze persönliche Bemerkung: Für mich ist alles, was jetzt noch kommt, Extra Time. Zwar ist, um mit Mark Twain zu sprechen „die Nachricht von meinem Tod stark übertrieben„. (Zitat von ihm, noch quicklebendig, als Zeitungen bereits Nachrufe über ihn verfassten). Aber es war knapp, meinte der Chefarzt, 2-3 Tage später zum Arzt und ich wäre wohl mit einem Zettel am Fuß aus der Klinik geschoben worden.
Daher in der TOP 10 noch mehr Fokus (als ohnehin) auf Verschwinden, Vergänglichkeit in den Texten, in den Clips.
Und Vögel gehen ohnehin immer in meinen Charts, so vielfältig in ihrer Symbolik …
Platz 10
Bird (Katatonia)
Der erste Bird-Song in der TOP 10 ist von Katatonia. Die Band der schwedischen Dark Metaller existiert bereits seit etwa 3 Dekaden. Das neue Album „Sky Void Of Stars“ – Anfang 2023 veröffentlicht – ist auch für Alternative- und Indie-Freunde sehr gut hörbar. Im melancholischen sterne-leeren Himmel fliegen die Vögel. Sind wir mutig genug, ihnen zu folgen? Um Vorahnungen über die andere Welt, die andere Seite des Himmels zu bekommen?
Is the heart brave enough yet?
Uncover the sky and show me the birds.
They rise.
Premonitions of the other side.
Platz 9
Flowers (Miley Cyrus)
Ist der Karpe senil geworden? Miley Cyrus in den TOP 10. Was soll das? Will der uns verarschen?
Nein, liebe Freunde, der Song ist gut. Aber das ist nicht der Grund für Platz 9. Sondern die Story der so vergänglichen Liebe. Flowers ist die trotzige Abrechnung mit ihrem fremdgehenden (nunmehr Ex-) Mann Liam. Sie knüpft musikalisch an „When I Was Your Man“ von Bruno Mars an – der Song, den der Ex Miley an ihrer Hochzeit gewidmet hat. Aber während Bruno sich wimmernd wünscht, er hätte seiner Liebsten Blumen mitgebracht und nach ihrer Hand gegriffen, dreht Miley den Text um: Die Blumen kann sie sich selbst kaufen und die Hand halten ebenso… And remember: Selbstliebe ist der Beginn einer lebenslänglichen Leidenschaft (Oscar Wilde).
I can buy myself flowers / Write my name in the sand
Talk to myself for hours / Say things you don’t understand
I can take myself dancing / And I can hold my own hand
Yeah, I can love me better than you can.
Und wer ein Fitness Tutorial sucht, wird auch fündig.
Platz 8
Silenceland (Annakin)
Die Schweizerin Annakin zählt auch schon beinah 50 Jahre. Und das ist ja das Drama: Man merkt, dass man wirklich alt geworden ist, wenn uns sogar Leute, die jünger sind als wir, alt erscheinen. Jedenfalls tanzt sie als Alien-Braut am Beach und nimmt uns mit in eine windige außerirdisch-mythische Gegenwelt: Silenceland. Und wie lautet noch Wittgensteins letzter Satz aus dem tractatus philosophicus: Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen.
Oder eben singen und tanzen.
This is where we stand
This is Silenceland
It is what it is.
Und wer, der in seiner Schulzeit nicht von Erich Fried verschont worden ist, erinnert sich hier nicht an dessen wohl berühmteste Zeile: Es ist, was es ist, sagt die Liebe.
Platz 7
Strung Out Johnny (Iggy Pop)
Wenn es ein Wesen gibt, das die Unvergänglichkeit verkörpert, dann er: der unkaputtbare Godfather des Punk – Iggy. Seine Teammates Lou und David hat er schon Jahrhunderte überlebt. Pünktlich zu den heiligen drei Königen dieses Jahres veröffentlicht der Unverwüstliche sein 21. Soloalbum (ohne Stooges). Strung Out Johnny sehe ich als Rückblick auf sein Leben als Junkie:
God made me a junkie
But Satan told me so
Und diese Zeilen des Songs könnten in jeden Drogenunterricht integriert werden.
First time, you do it with a friend
Second time, you do it in a bed
Third time, you can’t get enough
And your life gets all fucked up
Platz 6
If You Want Me (Marketa Iglova)
Wow. What a Love Story! Marketa Iglova und Glen Hansard. Marketa lernte den irischen Straßenmusiker Glen Hansard in den 2000ern kennen und lieben. Ein ungleiches Paar, er von den lärmigen Dubliner Straßen, sie als reine Studienmusikerin von musikbegeisterten Eltern bereits als Kind mit Piano und Gitarre erzogen.
2006 kamen sie zusammen und machten das Album „Swell Seasons“, auf dem der Song „If You Want Me“ zu finden ist. Dieser Song ist nun vor ein paar Wochen als Fotoalbum veröffentlicht worden.
Die Love Story in dem Clip ist kitschig-schön. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die beiden lange wieder getrennt sind. Wieso sollte es Musikerpaaren anders gehen als dem Rest der Welt? Das macht für mich die Love Story umso schöner, weil vergänglich. Und was wäre denn eine Liebe ohne Vergänglichkeit? Wahrscheinlich irgendetwas wie das Konzept Gott. Ich glaube aber eher an das Konzept der Vergänglichkeit, da bin ich mir wenigstens sicher, dass es existiert.
Oder wie es Zarko Petan, der slowenische Aphoristiker sagte: Was die Vergangenheit betrifft, bin ich Optimist.
Platz 5
Pretty Bird (Raz Ohara)
Der dänische Wahl-Berliner, mittlerweile auch schon seit 29 Jahren im Prenzlauer Berg ansässig, ist seit 1999 als DJ, Sänger und Musikproduzent tätig. Nach einigen Experimental-Ausflügen ist er nun zurück zu seinem guten alten knarrenden Electrosound. Der Pretty Bird jedenfalls knarrt und fiept und quietscht und zieht einen langsam sicher in seinen Bann. Und was verkörpert der schöne Vogel?
Pretty Bird descending …
Crawling across my Shoulder
to remind me, I’m free
Platz 4
Instability: Closer Than You Will Ever Be (UNKLE)
Der britische Electronica James Lavelle aka UNKLE ist auch schon uralt, nämlich 49. Und er weiß um das Umsonst aller Dinge: Sunset. Umarmung. Flüchtig. Vergänglichkeit. Und die leitmotivische Zeile:
Our enemy is closer than you will ever be
geht in die Knochen und tief ins Herz.
Platz 3
Ghosts Again (Depeche Mode)
Das am 24. März dieses Jahres veröffentliche Album „Memento Mori“ von Depeche Mode ist ein Abschiedsgruß an Gründungsmitglied Andrew „Fletch“ Fletcher, der im Mai 2022 im Alter von 60 Jahren verstarb. Der Song „Ghost Again“ ist eine tanzbare Ermahnung, die Zeit auf Erden sinnig zu nutzen.
Im Video sieht man Dave Gahan und Martin Gore vor Großstadtkulisse an einem überdimensionierten Schachbrett – in Schwarz und mit Kapuze bekleidet. Ihre Gehstöcke haben sie angelehnt, sodass die Kamera auch über die Totenköpfe schwenken kann, die ihre Gehstöcke zieren.
Die Grundidee ist aus Ingmar Bergmans legendärem Film Das siebente Siegel aus dem Jahr 1957. Ein Ritter, der vom Kreuzzug heimkehrt und mit seinem Glauben ringt, trifft auf den Tod, der ihm das Ende seiner Lebensspanne eröffnet. Doch der Ritter erwirkt einen Aufschub: Solange der Tod ihn nicht im Schachspiel geschlagen hat, darf er weiterleben.
Für das morbide Video, sämtliche Cover-Artworks und die neuen Bandfotografien zeichnet wieder Anton Corbijn verantwortlich, der als langjähriger Vertrauter die legendäre Karrierephase der Briten ab 1986 in Szene setzte.
Alles geht zu Ende. Das Spiel wird nicht ewig gehen. So what? Let’s dance until…
Heaven’s dreaming
Thoughtless thoughts, my friends
We know we’ll be ghosts again
…
Faith is sleeping
Lovers in the end
Whisper we’ll be ghosts again
Platz 2
The Stars Align (Jay-Jay Johanson)
Der schwedisch-britische Singer-Songwriter Jay-Jay Johanson ist bekannt für seinen schwer melancholischen Sound. Ein Vorbild für seine Stimme ist nach seinem Bekunden der legendäre Jazzposaunist und -sänger Chet Baker. Seine Musik bewegt sich zwischen Trip-Hop-Genre, Electro und Jazz. So wie dieser Song auf seinem im Juni releasten Album „Fetish“.
Platz 1
Milk & Honey (Mick Harvey & Amanda Acevedo)
Kaum jemand – auch nicht Blixa Bargeld – hat so lange mit Nick Cave zusammengearbeitet wie der Australier Mick Harvey. Erst bei den Boys Next Door, dann bei den legendären Band The Birthday Party. Harvey und Cave bildeten dann 1983 Nick Cave und The Bad Seeds. Harvey blieb 26 Jahre bei den Bad Seeds bis zu seinem Ausscheiden 2009.
Für das Album „Phantasmagoria In Blue“ arbeitet er zusammen mit der in San Luis Potis lebenden mexikanischen Sängerin und Filmemacherin Amanda Acevedo zusammen. Das Album ist ein 14 Titel umfassendes Duett-Album, auf dem Harvey und Acevedo alten Stücken neues Leben einhauchen, sei es dergestalt, dass sie sich existierende Duette zu eigen machten, sei es, dass sie Lieder, die nie als Duette gedacht waren, als solche umarrangierten, manche Stücke dazu aus dem Spanischen übertrugen, andere auf Spanisch sangen – und zusätzlich einige Eigenkompositionen aufnahmen.
Thematisch befasst sich das Album mit den immerwährenden Themen der Sterblichkeit, der Liebe, des Rätselhaften und Mythischen und der Suche des Menschen nach Sinn. Ein üppiges und mitreißendes Album voller überbordender Fantasie und Sinnlichkeit, mit der es Songs von so unterschiedlichen Künstlerinnen wie Tim Buckley, Luis Eduardo Aute, Sibylle Baier, Silvio Rodriguez und Pat Benatar neu interpretiert.“ (Vgl. https://www.flight13.com/mick-harvey-amanda-acevedo-phantasmagoria-in-blue-cd-lp-vinyl/149793)
Platz 1 ist ein alter Jackson-Frank-Song: Milk & Honey.
Sunset, Beach, Dog, Hot Mexican Girl – mehr Paradies geht nicht. Aber wir ahnen es auch hier: Vergänglichkeit. Paradise lost
Autumn’s leaving and winter’s coming
I think that I’ll be moving along
I’ve got to leave her and find another
I’ve got to sing my heart’s true song
„Ich habe Dinge gesehen, die ihr Menschen niemals glauben würdet. Gigantische Schiffe, die brannten, draußen vor der Schulter des Orion. Und C-Beams, glitzernd im Dunkeln, nahe dem Tannhäuser Tor. All diese Momente werden verloren sein in der Zeit,
wie Tränen im Regen.“
Nathaniel Barlam is creating Musical Comics:
www.patreon.com/nbarlam
Nathaniel Barlam auf Behance:
www.behance.net
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Charlie Haden, seine Drillingstöchter, sein Sohn Josh Haden und Freunde – Spiritual (2008 bei Letterman)